Akademie im Dialog

Gotik – lichterfüllte bunte Glasarchitektur

Im Mittelalter bis heute gehört die Arbeit des Kunstglasers zu den besonderen Hand- werkskünsten.

Erste kleine bunte Glasfenster gab es schon in romanischen Kirchen (940 bis 1150), mit der Gotik folgten lichterfüllte, übergroße Glasfenster mit nur scheinbar filigranen Säulen als tragende Elemente, sichtbare Errungenschaften der gotischen Kathedrale.

 Die Erfinder der Gotik, beginnend mit der Abtei Saint Denise bei Paris im Jahr 1144 schufen eine Glasarchitektur, die die massiven Wände zwischen den tra- genden Pfeilern ganz in Glas auflösten. Diesen bedeutenden Unterschied zeigt der Vergleich der Fensterflächen im Verhältnis zur Grundfläche – bei romanischen Kirchen etwa 1 zu 10 (Quotient 0,1), bei gotischen Kathedralen etwa 10 zu 6,5 (Quotient 1,54).

Wie konnten diese filigranen, hohen Kirchenschiffe in ihrer Stabilität gesichert werden, da tragende, massive Wände der Romanik ganz wegfielen, andere Wand- stärken und Gewölbemassen auf ein Minimum reduziert und die großen Glasfenster aus vielen kleinen Elementen mit weichen Bleiruten zusammengesetzt wurden?

Unweigerlich drängt sich wieder der Vergleich des Knochenbaus zur gotischen Architektur auf. Die Gewölbe-, Säulen- und Glasstruktur gotischer Kathedralen ist mit dem Knochenbau, der Trabekelstruk- tur und den daran ablaufenden biologi- schen Prozessen vergleichbar (▶Abb. 1). Es sind Symmetrien der Natur, auf die wir treffen. Heute bezeichnen wir dieses Phänomen als Bionik – beispielsweise „denken und bauen nach der Natur“. Die Baumeister der Kathedralen wussten noch nichts vom inneren Knochenbau, seiner Stabilität, den Gesetzen in der Natur … – daher ist ihre Leistung besonders hoch einzuschätzen.

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